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„Unsere Branche ist geprägt von viel Arbeit und wenig Zeit zum Reflektieren. So ist uns das Bewusstsein verloren gegangen, dass Landwirtschaft etwas ganz Besonderes und Wichtiges ist. Wir sind sprachlos geworden gegenüber dem, was wir tagtäglich machen.“ Dieter Franz Obermaier, Agrarwissenschaftler an der Humboldt-Universität zu Berlin, sitzt in einem Café in Freiburg und erklärt seine Sicht auf die Landwirtschaft. Ihm hat es glücklicherweise nicht die Sprache verschlagen. Wer dem Markgräfler gegenübersitzt, merkt schnell: Hier spricht ein Mensch aus Leidenschaft. Und ein Mensch, der weiß, wovon er spricht. Der gelernte Gärtner, Landschaftsarchitekt und promovierte Agrarwissenschaftler kennt die verschiedenen Lebenswelten und möchte das verlorene agrarische Bewusstsein sowohl in der Grünen Branche als auch in der Gesellschaft wieder aufleben lassen. Zentraler Ansatzpunkt ist für ihn die Agrarbildung, insbesondere die berufliche und hochschulische Berufsbildung. Zu seinen experimentellen Agrarbildungsformaten gehören beispielsweise Workcamps, Sommerschulen und begleitete Praktika. Zwischen Salat und Espresso führt er seinen Ansatz aus, der mit der industriellen Transformation der Landwirtschaft vor zweihundert Jahren beginnt.
Erzeuger und Verbraucher verbinden
Seitdem sei der Anteil, der in der Land- und Forstwirtschaft sowie im Gartenbau Beschäftigten von rund 75 auf 2,1 % gesunken. 89,8 % der Bevölkerung haben heute nichts mehr mit der landwirtschaftlichen Erzeugung zu tun. Gesellschaftlich seien Gärtner, Land- und Forstwirte eine „klitzekleine“ Minderheit geworden und die Kluft zwischen Erzeugern und Verbrauchern wachse noch weiter. Um dem entgegenzuwirken, so Obermaier, benötigten zunächst die Erzeugerinnen und Erzeuger wieder ein Bewusstsein für ihre besonderen Leistungen. Erst dann könnten sie auch den Verbraucherinnen und Verbrauchern vermitteln, was das Spezifische ihrer Arbeit sei und ihre Lebenswelt ausmacht: „Erst wenn in der Gesellschaft die Spezifik des Agrarischen verstanden wird, kann auch die notwendige gesellschaftliche Wertschätzung stattfinden.“ Dazu gehöre, dass die Verbraucher wieder mehr regionale Produkte kaufen. Das sei eine der wichtigsten Stellschrauben, um die bäuerliche Landwirtschaft, die fruchtbare, artenreiche und lebenswerte Kulturlandschaft zu bewahren und vor allem die regionale Nahversorgung und lokale Wertschöpfung langfristig zu sichern. Schon jetzt hätten 70 % der Höfe in Südbaden keine Nachfolge mehr.
Deswegen müssten alle an einen Tisch. „Das Nebeneinander muss zu einem Miteinander werden“, so der Agrarwissenschaftler. Aus einem Reden übereinander und dem Schlagabtausch lang gepflegter Vorurteile müsse ein Reden miteinander werden, ein Austausch auf Augenhöhe. Dieser fängt für Obermaier bei der Agrarbildung und Agrarkommunikation an.
Bildungslandschaften für Agrarkultur
Seit mehr als 20 Jahren engagiert er sich deswegen in der beruflichen und hochschulischen Agrarbildung und in der Agrarkommunikation. Das bedeutet für ihn die Vermittlung zwischen Agrarwissenschaften und bäuerlichen bzw. gärtnerischen Lebenswelten und damit eine integrierte Agrarbildung, die mit Studierenden und Auszubildenden zu jenen geht, die es bereits können, nämlich vor Ort in die Betriebe. In Workcamps und während Sommerschulen etwa treffen Auszubildende und Studierende aufeinander und lernen gemeinsam mit- und voneinander. „Bubble Breaking“ nennen Obermaiers Studierende das (oder umgangssprachlich: raus aus der eigenen Blase). Wichtig sind ihm dabei regionale Ansätze, denn „die Menschen hier ticken anders als z.B. die in Berlin“, jede Region sei anders. Gleich ist hingegen, dass für den gelernten Gärtner die Menschen jeweils im Mittelpunkt stehen sollen. Von übergestülpten Konzepten hält er nichts. Seine bewährten Methoden und Konzepte setzen an der Basis an, gründen auf Beteiligung und darauf, Dinge auszuprobieren. „Dafür brauchen wir nichts Neues“, so der Markgräfler, „es geht darum, Bestehendes zu verknüpfen.“ Aus bereits existierenden betrieblichen und anderen regionalen Lehr- und Lernorten könnten so Bildungslandschaften für Agrarkultur entstehen. Dabei solle stets die Vielfalt der Landwirtschaft und der ländlichen Räume im Mittelpunkt stehen. Denn, so sagt er, „vielfältige Landwirtschaft braucht auch vielfältige Bildungsformen, Lehrsäle und Internet reichen da einfach nicht.“
Regionales Netzwerk „A hoch drei“
Agrarkultur, Agrarbildung und Agrarkommunikation – drei Pfeiler, die erst ihre volle Wirkungskraft entfalten können, wenn sie miteinander verbunden werden. Das ist das Ziel von Dieter Franz Obermaiers neuestem Projekt „A hoch drei“, dem regionalen Netzwerk für Agrarkultur, Agrarbildung und Agrarkommunikation. Gemeinsam mit Christoph Wasser (dem Initiator von Marktplatz LandKultur) und Bernhard Nägele (dem Leiter des Bildungshaus Kloster St. Ulrich) hat er es im Herbst 2024 ins Leben gerufen. Ziele sind dabei unter anderem eine regionale Veranstaltungsreihe zur Transformation der bäuerlichen Landwirtschaft, Workcamps und Sommerschulen der Humboldt-Universität zur bäuerlichen Landwirtschaft in Südbaden sowie Begegnungen zwischen agrarbezogener Wissenschaft und bäuerlicher Lebenswelt. In regelmäßigen Werkstattgesprächen werden die Themen diskutiert und auf den Weg gebracht.
Anlässlich der Auftaktveranstaltung auf dem diesjährigen Höfe-Festival von Marktplatz LandKultur auf dem Gelände der Rainhof Scheune in Kirchzarten sagte Dieter Franz Obermaier: „Ich hätte niemals erwartet, dass so viele Menschen teilnehmen würden. Das ist vielleicht ein Hinweis auf die Aktualität des Themas in der Region.“