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Landwirtschaft & Mikroorganismen

Das Mikrobiom: Wenn alles mit allem verbunden ist – Teil 2

von Katja Brudermann, 7. März 2025 Mikroorganismen sind überall – auf dem Acker, in unseren Lebensmitteln und auch im Körper. Das Wissen über ein gesundes, vielfältiges Netzwerk von Mikroorganismen – das Mikrobiom – ist nicht nur für unsere Gesundheit entscheidend, sondern lässt sich auch auf zukunftstaugliche Strukturen für unsere Landwirtschaft übertragen.
Das Mikrobiom: Wenn alles mit allem verbunden ist – Teil 2
Das Mikrobiom: Wenn alles mit allem verbunden ist

Wann ist ein Mikrobiom gesund und stabil?

Mikroorganismen erfüllen wichtige Aufgaben – im Boden, in und auf den Kulturpflanzen wie auch im menschlichen Körper. Diese wurden bereits im Teil 1 der Mikrobiom-Serie beschrieben. Es macht nun Sinn, sich genauer mit folgender Frage zu beschäftigen: Wann ist eine Konstellation von Mikroorganismen gesund und stabil – und was zeichnet ein krankes Mikrobiom aus? In aller Kürze zusammengefasst: In einem gesunden Mikrobiom stehen sehr viele verschiedene Arten in mannigfaltigen Wechselwirkungen miteinander. Ein dichtes Netz aus Interaktionen, in dem verschiedene Arten sich gegenseitig unterstützen, miteinander konkurrieren oder sich auch gegenseitig auffressen, macht es neuen, pathogenen Keimen schwer, sich auszubreiten. So kann es gut sein, dass in einem gesunden Mikrobiom auch Krankheitserreger zu finden sind – jedoch werden sie von der Vielzahl anderer Arten in ihrer Vermehrung so stark ausgebremst, dass es nicht zum Ausbruch einer Krankheit kommt.

Ein schwaches Mikrobiom dagegen besteht aus wenigen verschiedenen Arten mit wenigen Wechselwirkungen. Hier kann sich ein Krankheitserreger leichter vermehren und somit zum Ausbruch einer Krankheit führen. Sogar ohne hinzukommende Erreger kann eine Entzündung entstehen – einfach weil in einem unausgewogenen Geflecht sich einzelne Arten stark ausbreiten können und zu Krankheitssymptomen führen, auch wenn die Arten an sich nicht dafür prädestiniert sind, Krankheiten hervorzurufen.

Das Phänomen, dass einzelne Arten sich überdimensional stark vermehren und dadurch zu Krankheit führen, gibt es auch auf der Ebene der körpereigenen Zellen. In diesem Fall spricht man von Krebs. [JP2] Der Verdacht liegt nahe, dass auch hier ein gewisser Zusammenhang besteht – zwischen einer gesunden Organisationsstruktur im körpereigenen Mikrobiom und einer gesunden Organisationsstruktur der körpereigenen Zellen, die dafür sorgen kann, dass Krebsherde [JP3] vielleicht auftreten, sich aber nicht ausbreiten können.

Tagung: Das (un)sichtbare Netz des Lebens – Landwirtschaft trifft Medizin, Gesundheit und Ernährung“, Foto: Katja Brudermann
Tagung: Das (un)sichtbare Netz des Lebens – Landwirtschaft trifft Medizin, Gesundheit und Ernährung“, Foto: Katja Brudermann

Vom Mikrobiom lernen: Vielfalt statt Monokultur

Es öffnet sich eine interessante Perspektive, wenn man diese Erkenntnisse als Metapher auf die Struktur eines landwirtschaftlichen Betriebs und seine Einbindung in die Gesellschaft überträgt. Dabei lassen sich durchaus Parallelen entdecken:

Ein Betrieb, der sich auf wenige Kulturen und vielleicht nur auf einen einzigen Absatzkanal beschränkt, spart zwar auf den ersten Blick Kosten, weil er für diese eine Kultur die optimale technische Ausstattung anschaffen kann und die Vermarktung weniger Zeit braucht. Die sich daraus ergebende Risikoanfälligkeit bekommen Betriebsleiter aber meist deutlich zu spüren: Sie produzieren zwar kostengünstig – aber wenn das Preisniveau beim Abnehmer noch niedriger ist, haben sie wenig Einflussmöglichkeiten, kostendeckende Preise zu erzielen. Und wenn das Wetter für genau diese eine Kultur in einem Jahr ungünstig ist, wirkt sich das auf den ganzen Betrieb aus – es gibt keine andere Kultur, die das ausgleichen kann.

Bei einem vielseitigen Betrieb spricht man von Risikoverteilung: Je mehr verschiedene Betriebszweige und Kulturen vorhanden sind, desto geringer ist die Wahrscheinlichkeit eines totalen Ernteausfalls. Ein Netz aus verschiedenen Vermarktungswegen reduziert die Abhängigkeit von einem einzelnen Abnehmer und kann dem Betriebsleiter den Rücken frei halten, dass er sich nicht zwingend auf unfaire Bedingungen einzelner Abnehmer einlassen muss. Ein landwirtschaftlicher Betrieb, der im Ort und in der Region gut vernetzt ist, mit anderen Branchen kommuniziert und kooperiert, hat bessere Chancen, auch ungewöhnliche Ideen ohne Anfeindungen aus der Bevölkerung realisieren zu können. In einer vielfältigen Betriebsstruktur lassen sich Synergieeffekte finden und auch gezielt fördern.

Das Bild eines landwirtschaftlichen Betriebs, das sich aus der Beschäftigung mit dem Mikrobiom ableitet, steht denkbar deutlich im Gegensatz zu einer modernen, industriell geprägten Landwirtschaft. Ein vielseitiger, regional vernetzter Betrieb auf der einen Seite – ein auf wenige Kulturen auf großen Schlägen [JP4] ausgerichteter Betrieb mit überregionaler Vermarktung auf der anderen.

Interessant ist in jedem Fall der Lösungsansatz, der sich aus diesen Gedanken ergibt. Zunächst scheint ein Landwirt, der sich um die Gesunderhaltung des Mikrobioms in seinen Ackerböden kümmert, einen finanziellen Mehraufwand zu haben. Wenn er im nächsten Schritt seine Böden nicht nur optimal versorgt, sondern das so geförderte gesunde, vielseitige und vernetzte Mikrobiom zugleich auch als Vorbild für seine Betriebsentwicklung sieht, öffnet sich eine neue Denkweise und Strategie, die das Potenzial zur Zukunftstauglichkeit hat.

Unter dem Titel „Das (un)sichtbare Netz des Lebens – Landwirtschaft trifft Medizin, Gesundheit und Ernährung“ fand im Mai 2024 in der Gemeinschaft Schloss Tempelhof ein Mikrobiom-Symposium statt. Nähere Infos zu den Referenten und Referentinnen sowie deren Themen finden Sie hier: https://mikrobiom.aufbauende-landwirtschaft.de/

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