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Es waren oft die eigenen Kinder der Bauersfamilie, die schon recht früh im zarten Kindesalter an die harte Arbeit in der Landwirtschaft herangeführt wurden. Eine der ersten kindlichen Tätigkeiten war die Zuständigkeit für das tägliche Füttern der Hühner, später folgte das Hüten der Weidetiere, sofern welche auf dem Hof gehalten wurden. Auch wenn es diese Tiere auf dem Hof nicht gab, so bot solch ein Bauernhof trotzdem ausreichende Betätigungsmöglichkeiten für die kleinen Kinderhände.
In vielen Fällen kamen aber auch Kinder von außerhalb, von Familien, in denen die existenzielle Not sehr groß war, sodass die Möglichkeit, eines oder mehrere der eigenen Kinder an Bauernfamilien verschicken zu können von diesen oft kinderreichen Familien in der Stadt „gerne“ genutzt wurde. Auf den Bauernhöfen gab es am ehesten immer genug zu Essen und zuhause war man froh, einen oder mehrere Esser vom Tisch zu haben.
Die Zeit der Verdingkinder, zu denen auch die Hütekinder im Schwarzwald gehörten, reicht weit zurück und war über ganz Europa verbreitet. Es gab auch Institutionen, die an der Not armer Menschen Geld verdienten und Kinder aus den damals ärmlichen Alpenregionen in wohlhabendere Gebiete vermittelten. Erst der Einzug des Tourismus verschaffte den Alpenregionen einen gesicherten Wohlstand. Die Kinder aus den Alpen mussten oft unter Lebensgefahr die kaum erschlossenen Alpenpässe überwinden, bis sie in den etwas wohlhabenderen Gebieten rund um die Alpen wie Sklaven auf Märkten an interessierte Bauern „verkauft“ wurden. Erzählungen über die Schwabenkinder oder die Mailänder Kaminbuben sind Zeugnisse dieses Menschenhandels hier bei uns in Europa.
Hier bei uns im Schwarzwald ist es nicht überliefert, dass Kinder an Bauernhöfe verkauft wurden. Aber die wirtschaftliche Not von ärmeren städtischen Familien zwang diese dazu, die eigenen Kinder im zarten Alter von 10 Jahren, oft sogar noch jünger, vom gewohnten, vertrauten Zuhause zu einer unbekannten hiesigen Bauernfamilie wegzuschicken. Der Zweite Weltkrieg und der für Deutschland ungünstige Kriegsverlauf sorgten in den Städten für eine Verteuerung und anschließende Rationierung der Lebensmittel. Dies führte nochmals zu einem deutlichen Anstieg der Verdingkinder auf Bauernhöfen. Für die Kinder lagen die Chancen, bei einer gutherzigen oder bösartigen Bauernfamilie zu landen, bei 50:50.
Die Kinder wurden also in sehr jungen Jahren aus ihrem gewohnten Umfeld herausgerissen und einer fremden Umgebung überlassen. Ihr Elternhaus konnten sie von da an für mehrere Monate nicht wiedersehen und sie wurden manchmal auch noch mit Strafe bedroht, sollten sie vom Heimweh geplagt vorzeitig nach Hause flüchten. Diese Kinder konnten nicht verstehen, was ihnen geschah, fühlten sich von ihren Eltern nicht mehr geliebt und verstoßen.
Erschwerend kam während des Zweiten Weltkriegs hinzu, dass die Bauernsöhne oder Knechte der Bauernhöfe zum Kriegsdienst eingezogen waren. Die Bauernfamilie war oft in Sorge um ihre Angehörigen und konnten dem zarten Kinderherz nur eingeschränkt Wärme entgegenbringen. Wenn sie ein glücklicheres Los gezogen hatten, wurden die Kinder wie eigene behandelt und weitmöglichst in die Bauernfamilie integriert. Bei kaltherzigen Familien bestand die Konversation mit den Kindern nur aus knappen Sätzen, bösen herabwürdigenden Blicken und Befehlen.
Die Schlafstatt bestand in den meisten Fällen bei den Knechten aus einem Schlafkissen und einer Bettdecke, die mit Stroh oder Laub gefüllt waren. Durch das Heimweh sowie die räumliche und soziale Kälte wurden viele dieser Kinder zu Bettnässern. Sie wurden dann oft gedemütigt und manchmal sogar geschlagen.
Die Kinder sollten die sonst auf den Höfen fehlende Arbeitskraft kompensieren und wurden für ihrem Alter und Kräftevermögen entsprechende Arbeiten herangezogen, wie eben das Hüten der Weidetiere. Bei Dienstantritt wurden den Kindern ihre oft einzigen Paar Schuhe abgenommen, sie mussten barfuß laufen. Der Arbeitsalltag begann für die Hütekinder schon früh morgens im Stall. Die Kannen mit der frisch gemolkenen Milch mussten aus dem Stall geschleppt und die Tiere gefüttert werden.
Mit einem Vesperbrot wurden die Kinder alleine mit den Kühen auf die Weide geschickt. Dort mussten sie auf die Tiere aufpassen und verhindern, dass sie ausbrachen oder mit der Rinderherde der Nachbarbauern zusammenkamen. Gar kein leichtes Unterfangen, wenn das Weideland des Nachbarn höher stand und das Gras saftiger schmeckte als das eigene, oder Insekten, ein aufziehendes Gewitter oder auch Hitze die Weidetiere unruhig werden ließ. Bei den etwas wohlhabenderen Bauernfamilien ließ sich womöglich etwas Salz abstauben, das man ins Gras streute, da die Kühe das gesalzene Gras lieber fraßen.
Brachen die Tiere trotzdem aus, gab es vom Bauern auf alle Fälle eine deftige Schelte, oft auch Prügel oder gar Nahrungsentzug. Kühe hüten stand auch an, wenn es wie aus Eimern schüttete oder draußen kalt war. Einmal durchnässte Kleidung wurde in seltenen Fällen gewechselt und musste bis nach der abendlichen Stallarbeit anbehalten werden. Lag das Weideland nahe beim Hof, wurden die Tiere zur Mittagszeit zurück in den Stall getrieben und es gab ein schnelles Mittagessen. Lag die Weide weiter weg, musste der Hirtenbube oder das Hirtenmädchen bis zur abendlichen Stallzeit mit den Tieren auf der Weide ausharren. An einem kalten Herbsttag war es einer der „Glücksmomente“ eines Hütekindes, wenn eine Kuh frisch gekackt hatte und man sich die kalten Füße im warmen Kuhfladen wärmen konnte.
Da die Kinder noch schulpflichtig waren, hatte man den Stundenplan an die Arbeitserfordernisse auf den Bauernhöfen angepasst. Die Schule begann oftmals schon um 6 Uhr morgens oder am Nachmittag. Um zur Schule zu gelangen, musste oftmals ein langer Weg zu Fuß gegangen werden. In völlig abgelegenen Gegenden wurden sogar spezielle Hirtenschulen eingerichtet. Für die durch die Arbeit ständig übermüdeten Kinder hatte nicht jeder Lehrer Verständnis. Auch hier blieb es oft nicht nur beim strengen Ermahnen, oft kam der Rohrstock zum Einsatz.
Heimaturlaub gab es für die meisten Hütekinder erst zu den Weihnachtsfeiertagen oder vielleicht zusätzlich zu Ostern. Wenn im Winter kein Weideaustrieb mehr möglich war, war die Arbeit im Stall umso aufwendiger mit dem Füttern und Ausmisten. Zusätzlich wurde im Winter das zuvor im Sommer geerntete Getreide ausgedroschen, wofür jede Hand gebraucht wurde.
Als sich zu Beginn der 1950er Jahre die wirtschaftliche Situation in den Städten wieder normalisierte, wurden kaum noch Kinder zur Arbeit auf Bauernhöfe geschickt. Gegen Ende der 1950er Jahre setzte sich der elektrische Weidezaun flächendeckend durch und machte das Heranziehen der eigenen Kinder zum Hüten der Tiere überflüssig (siehe zur Geschichte der Weidewirtschaft im Schwarzwald den Beitrag „Von der offenen Weide bis zur Standweide. Eine Geschichte der Weidewirtschaft im Schwarzwald“).
Mit dem Beginn der Mechanisierung der Landwirtschaft durch Traktoren und Maschinen endete auch in den Schwarzwälder Bauernfamilien die permanente Kinderarbeit und die Kindheit auf einem Bauernhof näherte sich der Kindheit in einer städtischen Familie an.