UNSER NEWSLETTER
Immer auf dem Laufenden Bleiben
Lernen Sie regelmäßig neue Höfe und Erzeuger kennen.
„Etwas bereitet uns gerade große Sorgen. Die Gentechnikfreiheit für unser Saatgut und unsere Lebensmittelerzeugung ist in akuter Gefahr“, schreibt PILUWERI, Demeter Gärtnerei, Gemüsenanbauer und -lieferant aus Müllheim-Hügelheim bei Freiburg in seinem Blog. Mit dieser Sorge ist das Unternehmen nicht allein: Initiiert von Bärbel Endrass, Bäuerin aus dem Allgäu, unterschrieben Mitte Dezember vergangenen Jahres 139 namhafte Organisationen und Verbände aus Landwirtschaft, Naturschutz und Saatgutproduktion das Positionspapier „Keine Deregulierung neuer Gentechnikverfahren – Recht auf gentechnikfreie Erzeugung, Wahlfreiheit und Vorsorgeprinzip sichern!“. Darin fordern sie die Bundesregierung und das Europäische Parlament auf, „den Vorschlag der EU-Kommission zur Deregulierung von neuen Gentechnikverfahren abzulehnen.“ Gentechnik müsse weiterhin konsequent nach dem EU-Gentechnikgesetz und im Sinne des Vorsorgeprinzips reguliert werden.
„Wenn es nicht mehr gekennzeichnet ist, ist es nicht mehr nachvollziehbar“
Laut dem von der EU-Kommission im Juli 2023 vorgelegten Gesetzesvorschlag soll der Anbau und die Vermarktung von fast allen Produkten aus Neuen Gentechniken dereguliert, regelnde Maßnahmen also aufgehoben werden. Etwa 95 % allen Pflanzenmaterials, das durch neu entwickelte Gentechnikverfahren verändert wurde, müsste dann nicht mehr – wie bisher – als gentechnisch verändert deklariert werden. „Ohne verpflichtende Nachweisverfahren gibt es aber keine Rückverfolgbarkeit mehr und damit keine Wahlfreiheit für Konsument:innen und Akteur:innen der gesamten Lebensmittelproduktionskette“, erklärt Eva Gelinsky, Leiterin und Koordinatorin der Interessengemeinschaft für gentechnikfreie Saatgutarbeit (IG Saatgut). Wäre es dann nicht eine einfache Lösung, selber Saatgut zu produzieren, von dem man genau weiß, wie es hergestellt wurde? „Nein“, antwortet Daniela Wannemacher, Gentechnik-Expertin beim BUND: „Für Züchter:innen und Landwirt:innen wird es mit einer Deregulierung quasi unmöglich, Kontaminationen im Saatgut zu vermeiden.“ Sie fürchten außerdem, dass sie zukünftig kaum noch Auswahl an Zuchtmaterial, also die Grundlage für ihre gentechnikfreie Züchtung, haben werden. „Denn wenn es nicht mehr gekennzeichnet ist, ist es nicht mehr nachvollziehbar“, bringt Horst Ritter, einer der Gründer von PILUWERI das Problem auf den Punkt. Und er ergänzt: „Gerade Kreuzblütler kreuzen sich sehr gerne untereinander und mit kreuzungsfähigen Wildkräutern. Das heißt, selbst wenn man beschlösse, auf eigenes Saatgut zu setzen, kann nicht garantiert werden, dass nicht die eigenen Pflanzen durch Ein- oder Auskreuzung auch betroffen sind.“ Denn auch das bisher verpflichtende Standortregister, das Auskunft über Gentechnik-Anbauflächen bietet, würde abgeschafft. „Ich weiß also nicht, was auf dem Nachbarfeld wächst“, so Ritter. Das bedeutet, wenn das Gesetz so umgesetzt wird, wird es zunehmend schwieriger werden, sicher gentechnikfreies Saatgut zu haben. Die Entscheidungsfreiheit, gentechnikfrei oder nicht auszusäen und anzubauen, wäre nicht mehr möglich.
Opt-Out – die Möglichkeit, sich dagegen zu entscheiden
Bisher können sich einzelne EU-Länder, wie z.B. Deutschland, mit der sogenannten Opt-out-Möglichkeit gegen Gentechnikregelungen auf EU-Ebene entscheiden. Doch auch diese Regelung soll gemäß der neuen Gesetzesvorlage entfallen. Und noch ein weiteres Problem spricht Herr Ritter an, ein „sozio-kulturelles“, wie er es nennt: „Gentechnik in dem Maße können sich in Zukunft nur noch die großen Saatgutfirmen leisten. Mittelständische und bäuerliche Züchtung und Saatgutproduktion bleibt dann auf der Strecke.“
Auch Patente gefährden die Wahlfreiheit
Um die Komplexität des Themas zu erhöhen, darf bei der Debatte ein weiteres Problem nicht außer Acht gelassen werden. PILUWERI befürchtet mit der geplanten Deregulierung auch eine neue Welle an Patentierungen auf Pflanzenmaterial und schreibt: „Denn durch diese Gesetzgebung wird es Konzernen noch einfacher gemacht, sich bestimmte Pflanzeneigenschaften als ‚Erfindung‘ patentieren zu lassen.“ Horst Ritter ergänzt: „Die Nahrungsmittelproduktion liegt sowieso bereits in den Händen weniger. Die Abhängigkeit von diesen wenigen würde dann noch größer. Außerdem brauchen wir anpassungsfähige Pflanzen und deswegen die Diversität. Es gibt allein in Deutschland so viele verschiedene Böden und Anbaubedingungen – die eine Pflanze dafür gibt es nicht. Wir müssen reaktionsfähig bleiben durch und mit der Vielfalt der Pflanzen. Dürren, Starkregen – wir wissen ja noch gar nicht, wohin sich der Klimawandel entwickelt.“ Diese Position vertritt auch die IG Saatgut, wie Frau Gelinsky sagt: „Der in Brüssel diskutierte Verordnungsentwurf behindert über eine Flut von Patenten die Arbeit kleiner und mittelständischer Züchtungsunternehmen. Die mit der neuen Gentechnik verbundenen Patente gefährden die genetische und biologische Vielfalt und damit gerade jene Ansätze von Züchtung und Landwirtschaft, die für die Lösung der sozialen und ökologischen Biodiversitäts-, Klima-Krisen dringend benötigt werden.“
Während Länder wie Schweden, Litauen, die Niederlande, Estland, Italien, Ungarn, Malta, Rumänien und Belgien für einen breiten Einsatz der neuen Technologien stimmen, mahnte in Deutschland der Bundesrat noch im November 2023 Abstandsregeln sowie Mitteilungspflichten an. Auch Vertreter der Landwirtschaft, wie etwa der Badische Landwirtschaftliche Hauptverband (BLHV) mit Hauptsitz in Freiburg fordert in einer Pressemitteilung vom 4. Januar die bäuerliche Selbstbestimmung ein: „Der BLHV, wie auch der DBV, stellt sich klar gegen die Patentierung von Gensequenzen bei Saatgut […] Außerdem muss durch eine klare Kennzeichnung des Saatguts sichergestellt werden, dass Landwirtinnen und Landwirte auch weiterhin Wahlfreiheit haben“.
Abstimmung Anfang Februar
Nach der Tagung des EU-Agrarrates am 11.12.2023 herrschte bei Gegnern der neuen Gentechnikverordnung zunächst Hoffnung, denn der Vorschlag einer weitgehenden Deregulierung von Gentechnik hatte an diesem Tag keine Mehrheit erzielt. Bei der Abstimmung am 24.01.2024 sprach sich der Umweltausschuss des EU-Parlaments jedoch mehrheitlich für eine weitgehende Deregulierung neuer Gentechnik und massive Aufweichungen im geltenden Gentechnikrecht aus. Nun bleibt abzuwarten, wie im Plenum des EU-Parlaments abgestimmt werden wird. Ob und mit welchen Änderungen der Neuregelungsvorschlag der EU-Kommission umgesetzt wird, wird somit vermutlich in der Sitzungswoche vom 5. bis 8. Februar entschieden. Anschließend müssen allerdings auch noch Verhandler des Parlaments im sogenannten Trilog einen Kompromiss mit den EU-Staaten aushandeln.
Fortsetzung folgt.