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Bei unserem Projekt AUFLEUCHTEN im Jahr 2022 haben wir im Rahmen des Höfe-Festivals von Marktplatz LandKultur mit dem Zirkuszelt auf landwirtschaftlichen Betrieben in Südbaden gespielt. Nach Vorarbeiten in Berlin verbrachten wir die Proben auf dem Thaddäushof in Kirchzarten bei dem Landwirt Rainer Bank, der mittlerweile auch ein gemeinsamer Freund geworden ist. Nach insgesamt drei Wochen zogen wir mit unserem Zelt zu weiteren Höfen in Südbaden.
Auf diese Weise kamen – einige von uns zum ersten Mal – in engen Kontakt mit bäuerlicher Landwirtschaft. Dabei haben wir festgestellt, dass der uralte Konflikt zwischen Landwirtschaft und urbanem Raum immer noch sehr lebendig ist, beispielsweise, wenn politische Reformvorhaben aus Brüssel oder Berlin auf völlig diametrale Interessen und Bedürfnisse der ländlichen Erzeuger stoßen.
Als uns Christoph Wasser von Marktplatz LandKultur vorschlug, die Zusammenarbeit beim Höfe-Festival 2023 mit einer Produktion in der Kirchzartener Rainhof Scheune fortzusetzen, war uns schnell klar, dass wir inhaltlich nicht an diesem Thema vorbeikommen und dass das altsumerische Gilgamesch-Epos hierfür das ergiebigste Arbeitsmaterial bietet.
Was uns an diesem über 5000 Jahre alten Epos vertraut vorkommt, ist die Erkenntnis, zu der Gilgamesch am Ende seines Weges gelangt: dass wir als Menschen der Verbundenheit mit und der Abhängigkeit von der Natur nicht entkommen. Die Gilgamesch-Dichtung markiert den Ausgangspunkt der jahrtausendelangen konfliktreichen – aber auch fruchtbaren – Beziehung zwischen Stadt und Land. Personifiziert wird dieser Konflikt im Epos durch die ambivalente Beziehung des städtisch geprägten Gilgamesch zu seinem Freund-Feind Enkidu, der ein Naturmensch ist. Gilgamesch ist zu zwei Dritteln göttlich und verfügt daher über übermenschliche Kräfte. Lediglich Enkidu ist ihm ebenbürtig. Beide ziehen miteinander aus, um übermenschliche Taten und Untaten zu vollbringen.
Um diese übermenschlichen Kräfte künstlerisch auf der Bühne umzusetzen, wurde das Ensemble nicht nur spartenübergreifend besetzt – mit den Schauspielerinnen Marina Dessau und Sara Spennemann, der Clownin Luciana Abdel Arcuri sowie der Musikerin Kerstin Kaernbach –, sondern jedes Ensemblemitglied brachte neben der eigenen Kunstform auch andere Bühnenfertigkeiten mit, vom zeitgenössischen Tanz bis zum Bühnenkampf.
Nachdem wir Anfang Juni Fördergelder des Global Village-Programms vom Fonds Darstellende Künste erhalten hatten, konnten wir in Berlin mit der Probenarbeit beginnen. Als Grundlage verwendeten wir Textfragmente aus verschiedenen Gilgamesch-Übersetzungen, die von unserem Autor Marc Ottiker bearbeitet und durch neue Texte ergänzt wurden.
Um die eingangs erwähnten vielfältigen Ansätze integrieren zu können, arbeiteten wir auf den Proben mit dem Viewpoints-Training. Viewpoints ist ein rein körperliches Ensembletraining. Alle Theaterelemente werden hier als gleichwertig betrachtet, Objekte können Handlungen genauso beeinflussen wie Musik, Text oder ein anderer Mensch. Mit dieser Arbeitsweise konnten wir das personen-, objekt- und handlungsreiche Epos mit einfachen szenischen Mitteln erzählen. Ein Kleiderständer konnte so während der Vorstellung anfangs eine Stadtmauer der Sumerer-Metropole Uruk sein, um später zu einem Bartresen oder einem Wald zu werden. Letzten Endes erwiesen sich die Kleiderständer als so vielfältig, dass das ganze Bühnenbild aus nur drei (wenn auch sehr wandlungsfähigen) Kleiderständern bestand. Entsprechend wandlungsfähig mussten auch die drei Darstellerinnen sein, da sie zusammen mehrere Dutzend Rollen spielten, von Vögeln über Priesterinnen zu Göttinnen – und wieder zurück. Gilgamesch und Enkidu selbst wurden abwechselnd von den verschiedenen Darstellerinnen gespielt, um den vielfältigen Aspekten dieser überdimensionierten Figuren gerecht zu werden.
Anfang September 2023 ging es dann mit Kind, Kegel und Kleiderständern zu den Endproben nach Kirchzarten. Um den von uns im fernen Berlin entwickelten Gilgamesch auch zu einem Kirchzartener zu machen, hatten wir uns im Vorfeld schon der örtlichen Musiker Josef Grauel (Tuba), Johannes Weinert (Alphorn) und Oscar Trompenaars (Saxophon) versichert, die uns musikalisch unterstützten. Die Zusammenarbeit war – den zeitlich-logistischen Zwängen geschuldet – leider etwas limitiert, aber sehr erfolgreich und inspirierend (gerne beim nächsten Mal mehr davon!). Die Endproben fanden in der Rainhof Scheune und dem Saal des Oh-Verlags (vielen Dank an Sibylle Steinweg und Moritz Eggetmeyer) statt.
Obwohl es sich bei der Rainhof Scheune nicht um einen Theaterraum im klassischen Sinne – mit Lichtanlage, Bühnenmaschinerie oder Backstagebereich – handelt, wurde für die beiden Aufführungen auch nicht versucht, diesen herzustellen. Stattdessen wurde von unserem Produktionsleiter Daniel Megnet der spezifische Charakter des Raumes belassen und nur ein schlichtes, von allen Seiten einsehbares, Bühnenpodest in die Mitte des Raumes gebaut, das nur behutsam ausgeleuchtet wurde, wie zu Shakespeares Zeiten. Am Ende hatten wir den Eindruck, dass unter diesen Umständen unser Theater zu einer Ursprünglichkeit und Selbstverständlichkeit gefunden hat, die sowohl dem Gilgamesch-Epos als auch der Ethik und Philosophie des Höfe-Festivals von Marktplatz LandKultur gerecht wurden.