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Artenvielfalt im Obstbau

Ist unsere Welt zu ordentlich?

von Katja Brudermann, 12. August 2022 Um als Menschheit auf unserem Planeten dauerhaft gut leben zu können, brauchen wir beides: ausreichend Lebensmittel und ausreichend Räume, wo die Natur sich selbst überlassen ist. Andrea Hartmann und Elke Pollok untersuchen, wie sich das eine mit dem anderen verbinden lässt. Sie betreuen am Kompetenzzentrum Obstbau Bodensee ein Forschungsprojekt zum Thema Artenvielfalt in Obstanlagen.
Ist unsere Welt zu ordentlich?
Projekt „Artenvielfalt im Obstbau“, Andrea Hartmann und Elke Pollok

Marktplatz Landkultur: Was genau erforschen Sie?

Andrea Hartmann: Wir beide sind zuständig für die Beobachtung von Apfelanlagen, die nach Richtlinien der integrierten Produktion bewirtschaftet werden, eine Bewirtschaftung, die Umweltfreundlichkeit und rentablen Anbau verbindet. Hier im Bodenseegebiet gibt es Versuchsflächen, auf denen verschiedene Maßnahmen zur Erhöhung der Artenvielfalt durchgeführt werden – zum Beispiel werden Nisthilfen für Bienen und Vögel aufgehängt, blühende Sträucher an den Rändern gepflanzt und Blühstreifen zwischen den Obstreihen gesät. Auf diesen Versuchsflächen stellen wir verschiedene Fallen auf, um Insekten und Spinnentiere zu zählen, die wir gefangen haben. Das Gleiche tun wir auf Kontrollflächen, wo keine Maßnahmen durchgeführt wurden. Auf diese Weise können wir feststellen, wie sich verschiedene Anbaumethoden auf die Artenvielfalt auswirken.

Marktplatz Landkultur: Was zeigen die Ergebnisse Ihrer Zählungen?

Andrea Hartmann: Auf den ersten Blick lässt sich erkennen: In Obstanlagen gibt es in der Regel eine gewisse Artenvielfalt – die Insekten und Spinnentiere profitieren davon, dass die Anlagen in der Regel über mehrere Jahre stehen. So können sich Populationen langfristig entwickeln. Die genannten Maßnahmen scheinen sich, unseren Ergebnissen nach zu urteilen, positiv auf die Artenvielfalt auszuwirken. Bei genauerer Betrachtung zeigt sich: Die Anzahl der gezählten Tiere hängt nicht allein von den Maßnahmen ab. So gibt es auf denselben Flächen Unterschiede von Jahr zu Jahr und die Umgebung der Flächen spielt ebenfalls eine Rolle – ob hier beispielsweise Naturschutzwiesen oder Autobahnen liegen.

Elke Pollok: Die Bewertung der Artenvielfalt auf einer Fläche fordert an sich, die in den verschiedenen Fallen erfassten Tiere nach Arten zu bestimmen. Hierfür braucht es Spezialisten, die ähnlich vom Aussterben bedroht scheinen wie manche Tierarten auch. Wir zählen die Tiere hier vor Ort und sortieren sie nach Ordnungen – die Bestimmung nach Arten erfolgt an der Universität Bonn, braucht aber mangels Personals seine Zeit.

Andrea Hartmann: Die Anzahl verschiedener Arten ist nur bedingt aussagekräftig. Wichtig, um die Stabilität eines Ökosystems zu beurteilen, ist auch die Frage: Welche Arten sind vorhanden? Sind es überwiegend sehr anpassungsfähige Tiere, die Veränderungen ihrer Umgebung leicht wegstecken? Und wie geht es den Arten, die sehr genau an bestimmte Lebensbedingungen angepasst sind? Zusammengefasst: Unsere konkreten Ergebnisse bieten einen kleinen Einblick in dieses extrem vielschichtige Thema.

Marktplatz Landkultur: Neben Ihrer Forschungstätigkeit bieten Sie auch Biodiversitätsberatung an – haben Sie abschließend ein paar Tipps, wie Landwirte und auch andere Berufsgruppen die Artenvielfalt fördern können?

Elke Pollok: Neben den bereits erwähnten Maßnahmen bieten Haufen aus Steinen oder Totholz am Rand landwirtschaftlich genutzter Flächen Lebensraum für viele Tiere. Alte Gebäude, die nicht vollständig versiegelt sind, beherbergen Schwalben, Fledermäuse und vieles mehr. In Privatgärten, öffentlichen Parks, Seitenstreifen, Verkehrsinseln und diversen innerstädtischen Grünflächen können sich viele Arten ansiedeln, wo man bewusst Verwilderung zulässt.

Andrea Hartmann: Artenvielfalt etabliert sich oft nicht da, wo man aktiv etwas dafür tut, sondern vielmehr da, wo man Maßnahmen nicht ergreift, für die man aus Gewohnheit seit Jahrzehnten Arbeitszeit investiert hat. Das perfekte Aufräumen jedes Winkels reduziert die Vielfalt der Lebensräume. Der gezielte Verzicht auf häufiges Mähen, Beseitigen von organischem Material etc. kann Arbeitszeit einsparen und zugleich die Artenvielfalt fördern.

Elke Pollok: Erwähnenswert ist aus meiner Sicht auch das Einkaufsverhalten. Wer beispielsweise nur Äpfel kauft, die vollkommen makellos sind, fördert mit seiner Wahl einen intensiven Pflanzenschutz, der dem Wunsch, Bienen und andere Insekten optimal zu schützen, entgegensteht. Verbraucher und Händler, die von Erzeugern makellose Äpfel und optimalen Artenschutz fordern, verlangen entgegengesetzte Ziele. Landwirte haben aber ein Recht, von der Gesellschaft klare Zielvorgaben zu bekommen – im Zweifelsfall eine ausgewogene Mischung aus Ertrag, Qualität der Produkte und Erhalt vielfältiger Lebensräume – und sie haben Anerkennung verdient, weil sie sich um die Erreichung dieser Ziele bemühen.

Kontakt & nähere Informationen

Stellvertretend für das deutschlandweite Projekt stehen Andrea Hartmann und Elke Pollok am Kompetenzzentrum Obstbau Bodensee für weitere Auskünfte zur Verfügung:

hartmann@kob-bavendorf.de, Tel: 0751-7903 303

pollok@kob-bavendorf.de, Tel: 0751-7903-312

www.kob-bavendorf.de

Forschungsprojekt Artenvielfalt im Obstbau
Forschungsprojekt Artenvielfalt im Obstbau

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