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Etwa 10 kg Erdbeeren kann ein eingelernter rumänischer Saisonarbeiter in einem gut gepflegten Bestand pro Stunde pflücken. Wer weiß, dass der Mindestlohn aktuell bei knapp 12,41€ pro Stunde liegt, kann sich ausrechnen: In einer 500g-Schale Erdbeeren sind Lohnkosten für die Ernte von 12,41 €/10 kg * 0,5 = 0,62 € enthalten. Am Großmarkt erhält ein Landwirt je nach Jahr und Jahreszeit grob zwischen 1,00 € und 3,00 € für eine 500g-Schale. Natürlich muss der Erdbeerbauer auch vor der Ernte schon einige Arbeitsstunden in die Kultur investieren; er kauft in aller Regel junge Erdbeerpflanzen zu, braucht Maschinen, vielleicht auch Gewächshäuser, zudem Dünger, Pflanzenschutzmittel ... man ahnt: Nur wer mit spitzer Feder rechnet, kann hierzulande vom Erdbeeranbau leben. Vielleicht wäre es leichter, wenn man bei der Ernte weniger Personal bräuchte?
Das Konstanzer Start-up „Organifarms“ hat sich ans Werk gemacht, einen Ernteroboter zu entwickeln. Dabei stellte das Entwickler-Team um Hannah Brown, Dominik Feiden und Marian Bolz fest, wie komplex das Pflücken einer Erdbeere ist, das von einem durchschnittlich intelligenten Menschen sehr leicht erlernbar ist.
Aktuell besteht der Roboter aus einem fahrbaren Untersatz, der sich auf Rohrschienen eigenständig bewegt. Kameras an verschiedenen Orten des Roboters erkennen reife Früchte. Qualitätskriterien wie Farbe, Größe, das Erkennen von Schäden und Verformungen können mithilfe einer entsprechenden EDV vom Betriebsinhaber eingestellt werden. Ein Greifarm mit sieben Gelenken kann Früchte aus verschiedenen Winkeln am Stil einklemmen, abschneiden und in eine Schale legen. Die Schalen liegen in Kisten, die vom Ernteroboter eigenständig gefüllt und bei Bedarf gegen leere Kisten getauscht werden.
Einzig das Wechseln der Akkus nach ca. 12 Stunden erfordert menschliches Mitwirken und eine kurze Pause von ca. 10 Minuten. Ansonsten tuckert das Gerät unbeirrbar durch die Reihen und erntet eine Erdbeere nach der anderen. Im Gegensatz zu einem menschlichen Erntehelfer braucht das Gerät keine Schlaf- und Essenszeiten und kann im Prinzip 24 Stunden am Tag durchlaufen. Am Ende des Tages hat der Roboter nach seiner 24-Stunden-Schicht etwa die gleiche Menge Erdbeeren gepflückt wie ein Mensch, der nach 8 Stunden Feierabend macht.
Damit der Roboter gegenüber menschlichen Pflückern reale Vorteile erzielt, muss der Anbau an seine Bedürfnisse angepasst werden. Erdbeeren im Freiland sind für den Roboter nicht geeignet – er funktioniert nur im Gewächshaus, wo die Erdbeeren in Stellagen einen guten Meter über dem Boden wachsen und wo er auf Rohrschienen durch die Reihen fahren kann und am Ende der Reihe auf betonierten Boden stößt. Das klingt vielleicht futuristischer als es ist – die beschriebenen Anbaubedingungen setzen sich bereits heute in der Praxis zunehmend durch, auch wenn es (noch) Menschen sind, die Erntewägen auf den Rohrschienen durch die Reihen schieben und die Erdbeeren – in den Stellagen optimal mit Wasser und Nährstoffen versorgt und vor widrigen Witterungsbedingungen und manchen Schädlingen und Krankheiten geschützt – in angenehmer Greifhöhe pflücken.
Da der Roboter in stoischer Ruhe stets eine Erdbeere nach der anderen pflückt, ist er im für Erdbeeren typischen Saisongeschäft nicht unbedingt in seinem Element. Wenn eine Kultur innerhalb weniger Wochen ihren gesamten jährlichen Ertrag hervorbringt, muss die Anzahl der Roboter an genau diese Stoßzeit angepasst sein, und wenn die Erntesaison vorbei ist, steht der gesamte Roboterfuhrpark für zehn Monate im Schuppen herum. Besser ist daher für den Roboter-Nutzer, remontierende Erdbeersorten anzubauen, die von Juni bis in den September hinein kontinuierlich reife Erdbeeren tragen. Und von Seiten der Entwickler gibt es Bestrebungen, den Roboter weiterzuentwickeln, so dass er eben nicht nur in der Erdbeerernte Verwendung findet, sondern auch für andere Beeren eingesetzt werden kann.
Zum aktuellen Zeitpunkt sind bereits einzelne Prototypen auf verschiedenen Betrieben im Einsatz. Auch gibt es andere Firmen im In- und Ausland, die mit der Entwicklung von Ernterobotern mehr oder weniger weit vorgedrungen sind.
Für Technik-Fans scheint es eine unproblematische Zukunftsvision, dass Erdbeeren wie auch andere Obst- und Gemüsesorten zunehmend von intelligenten Robotern geerntet werden. Eine solche Vision steht dabei ganz im Zeichen einer stark technisierten Landwirtschaft, die auch von den Einflüssen des (immer unberechenbarer werdenden) Klimas unabhängiger wird und immer mehr den Charakter einer industriellen Erzeugung bekommt.
Schwierig wird eine solche Vision jedoch, wenn die ureigenen Ziele der Landbewirtschaftung dem technischen Fortschritt untergeordnet werden. Denn jeder, der ein Stück Land bewirtschaftet, trägt eine Verantwortung, die über die reine Erzeugung essbarer Dinge hinausgeht. Jeder Hektar Ackerland ist Teil unseres Planeten, der als Gesamtkunstwerk betrachtet und pfleglich behandelt werden will. Der Erhalt von Bodenfruchtbarkeit und Artenvielfalt, die Bewahrung schöner und für uns Menschen erholsamer Landschaften wie auch das Gestalten von sinnstiftenden Arbeitsplätzen im ländlichen Raum sind Aspekte, die in ihrer Wichtigkeit nicht zu unterschätzen sind. Ein Ernteroboter kann in einer ganzheitlich ausgerichteten Landwirtschaft durchaus sinnvoll zum Einsatz kommen – es muss nur klar gestellt sein, dass er dem Menschen dient und nicht anders herum.