UNSER NEWSLETTER
Immer auf dem Laufenden Bleiben
Lernen Sie regelmäßig neue Höfe und Erzeuger kennen.
Marktplatz LandKultur: Herr Bliestle, die letzten zwölf Monate waren für viele Menschen anspruchsvoll – für Erzeuger, Vermarkter und auch für viele Verbraucher. Wie haben Sie die Zeit erlebt?
Johannes Bliestle: Es waren wirklich harte Zeiten. Man spricht von einer multiplen Krisensituation – wie ein ähnliches Wort, das man sonst nur aus dem Medizinischen kannte: ein Multiorganversagen, das sich ja schon sehr bedrohlich anhört. Unsere Erzeuger hatten nicht nur mit steigenden Kosten für Betriebsmittel zu kämpfen, es gab sogar Lieferschwierigkeiten, zum Beispiel bei Düngemitteln. Der geschützte Anbau spielt auf der Insel eine wichtige Rolle, und die Heizungen vieler Gewächshäuser basieren auf Gas. Davon war zwar schlussendlich immer genug da, aber die Angst vor Preisexplosionen und auch Engpässen bis hin zu einem kompletten Lieferstopp stand im Raum. Und damit nicht genug: Die Umsätze für hochwertiges, regionales Gemüse waren nach dem Corona-Boom stark rückläufig. Und hinzukommt der Klimawandel, dessen Einfluss auf den Anbau wir auch nicht unterschätzen sollten. Für die Erzeuger gab es also Druck von einigen Seiten, der Begriff der multiplen Krise trifft die Situation sehr gut.
Marktplatz LandKultur: Wie sind die Erzeuger mit dieser multiplen Krisensituation umgegangen?
Johannes Bliestle: So viele Möglichkeiten gab es nicht. Wer einen finanziellen Puffer hat, macht so normal wie möglich weiter und hofft, dass die nächste Saison wieder besser ausschaut. Einzelne Erzeuger haben mit dem Gedanken gespielt, die Anbausaison 2023 für Fruchtgemüse etwas nach hinten zu verschieben, um damit die Heizkosten zu senken. Als Genossenschaft haben wir davon tendenziell abgeraten. Man spart zwar Heizkosten – aber man verpasst die Frühsaison, in der in der Regel die besten Preise zu erzielen sind, und die erste Ernte fällt dann eventuell in ein Zeitfenster, in dem der Markt an sich schon eng genug ist. Einzelne Betriebe haben Teilflächen stillgelegt oder sich mit ihrer Vermarktung auch in Richtung Schweiz orientiert, was hier in Grenznähe teilweise mit entsprechenden rechtlichen Konstruktionen zollfrei möglich ist. Und schließlich gab es ältere Betriebsleiter, die sich die Frage stellten: „Warum soll ich in den letzten Jahren meiner Erwerbstätigkeit noch ein hohes Risiko eingehen und meine Altersvorsorge aufs Spiel setzen?“ Das in ein paar Jahren anvisierte Ende des eigenen Gemüsebaus wurde dann vorgezogen und schneller umgesetzt. Als Angestellte sind diese erfahrenen Betriebsleiter auf Nachbarbetrieben dann durchaus gern gesehen.
Marktplatz LandKultur: Was konnte die Genossenschaft zur Stabilisierung in der Krise beitragen?
Johannes Bliestle: Wir haben sehr schnell eine interne Arbeitsgruppe zur Energieversorgung einberufen. Dann haben wir eine Umfrage unter den Gärtnern gestartet, um herauszufinden: Wer hat welche Energiequellen? Welche Verträge mit Energieversorgern liegen vor? Das war sehr hilfreich, um zu sehen: So dramatisch ist die Situation nicht. Gas ist zwar nach wie vor die am stärksten vertretene Wärmequelle, aber die meisten Gärtner hatten langfristige Verträge – zumindest für 1 Jahr – mit Preisgarantie, so dass eine rasche Kostensteigerung nicht zu erwarten war. Der Wechsel hin zu regionalen und nachwachsenden Rohstoffen braucht ein paar Jahre Zeit.
Marktplatz LandKultur: Wie sah es auf der Vermarktungsseite aus?
Johannes Bliestle: Im Grunde leben wir hier bei der Genossenschaft einen Anbau, wie er von der Regierung bundesweit gewünscht ist. Der Anteil an Bio-Fläche liegt bei über 30 % mit bislang steigender Tendenz. Wir führen ein Sortiment, das sich von anderen Anbietern abhebt und sich dadurch auf einem höheren Preisniveau bewegen kann. Damit betreiben wir Wertschöpfung für die Mitglieder. Durch die hohe Inflation und der damit einhergehenden Kaufzurückhaltung sind wir allerdings aktuell in einem Marktsegment unterwegs, das von der Krise am meisten betroffen ist. Der Kunde spart und sucht billige Produkte. Man spricht hier in der Fachsprache von Downtrading. An harte Preisverhandlungen mit dem Einzelhandel sind wir gewöhnt – in der Krise waren sie allerdings noch härter als sonst. Ich denke, in den nächsten zwei, drei Jahren wird sich zeigen, ob wir unsere Ausrichtung mit dieser Dynamik so beibehalten können, oder nicht. Es sind spannende Zeiten.
Marktplatz LandKultur: Was können Erzeuger aus Ihrer Sicht aktuell tun, was über den Horizont des eigenen Betriebs hinausreicht?
Johannes Bliestle: Das ist ein gutes Stichwort, denn der Blick über den eigenen Tellerrand ist heute wichtiger denn je. Der beginnt damit, auch Menschen im größeren Umfeld als Partner und nicht als Feinde zu sehen. Die Reichenau-Gemüse eG ist ein gutes Beispiel, was man erreichen kann, wenn viele Kollegen miteinander an einem Strang ziehen. Und auch der Handel: So hart Preisverhandlungen bisweilen sein mögen, schlussendlich funktioniert die Zusammenarbeit besser, wenn man sich als Partner begreift und nicht als Gegner. Was ich persönlich als großen Beitrag der Erzeuger hier auf der Reichenau sehe und schätze ist, dass mein ehrenamtliches, aber wichtiges Engagement in der Bundesvereinigung der Erzeugergemeinschaften Obst und Gemüse (BVEO) von allen mitgetragen wird. Das ist nicht selbstverständlich, denn in erster Linie bin ich für die Reichenau-Gemüse eG und deren Mitglieder da, und werde auch dafür bezahlt. Doch die Mitglieder gewähren mir diesen Freiraum und tragen damit ihren Teil dazu bei, dass ihre Anliegen auch auf bundespolitischer Ebene eine Stimme bekommen. Darüber hinaus halte ich es für wichtig, dass auch in Sachen Kommunikation jeder Erzeuger sein Potenzial ausschöpft. In der Lokalpresse, in den sozialen Medien, bei der Politik, im direkten Kundenkontakt hat jeder die Möglichkeit, seinen Standpunkt klar und deutlich zu kommunizieren.
Marktplatz LandKultur: Herr Bliestle, wir danken Ihnen für das offene Gespräch!
Die Erzeuger sind wichtige Akteure, aber bei weitem nicht die einzigen, die einen Einfluss darauf haben, die aktuelle Krise und zukünftige Herausforderungen zu meistern. In Teil 2 des Interviews sprechen wir darüber, welche Beiträge Medien und Politik leisten können und sollten, um die Erzeugung von Gemüse, auch in kleinen Strukturen, zu gewährleisten.