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Entwicklung der Landtechnik

Teil 2: Der Traktor schafft’s

von Rainer Bank, 3. März 2023 Nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges stand die deutsche Landwirtschaft besonders in Westdeutschland vor gewaltigen Herausforderungen. 55 Mio. Menschen sollten satt werden und alle sollten es sich leisten können. Dies ließ sich nur mit einer enormen Produktionssteigerung realisieren.
Teil 2: Der Traktor schafft’s
MB Truc, ein Systemschlepper, Quelle: DB-Prospekt

Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs 1945 herrschten in Deutschland (und weiten Teilen Europas) Zerstörung und Hunger vor. Die Infrastruktur war fast komplett vernichtet und die Wirtschaft war praktisch zum Erliegen gekommen. Deutschland wurde in Besatzungszonen aufgeteilt, was letztlich zu einer fundamentalen Spaltung des Landes führte. Die einstigen Kornkammern des Reiches jenseits von Oder und Lausitzer Neiße waren nach Kriegsende von Deutschland abgetrennt und deren Bevölkerung in Richtung Westen vertrieben worden. Die beiden deutschen Nachfolgestaaten standen jeweils vor der Herausforderung, neben dem Wiederaufbau der Städte und Dörfer die angewachsene Bevölkerung satt zu bekommen.

In der Landtechnikindustrie wurden die Karten infolge des Zweiten Weltkrieges ebenfalls neu gemischt. War die Produktion und der Absatz der bisher gebauten Traktoren und Landmaschinen für Großbetriebe bis in die ersten Kriegsjahre eine sichere Bank gewesen, so existierte diese Kundschaft nun größtenteils nicht mehr.

In der neu entstehenden Bundesrepublik war die Landwirtschaft von Tradition her immer kleinteilig gewesen und in der aus der sowjetischen Besatzungszone entstehenden DDR hatte man mit der Bodenreform die verbliebenen Großbetriebe zerschlagen und das Land an sogenannte Neubauern aus den ehemaligen Ostgebieten aufgeteilt. Anstelle einer zahlungskräftigen Kundschaft fand die Landtechnikindustrie nun zahllose Kleinbauern vor, welche erst kleine Schritte in Richtung Mechanisierung unternommen hatten oder gar noch nach alter Väter Sitte wirtschafteten.

Die überwiegend in Westdeutschland beheimatete Traktorenfertigung konzentrierte sich nach der Währungsreform 1948 auf die unteren Leistungsklassen von 15–20 PS. Traktoren jenseits von 30 PS bildeten nun die Exoten. Für die Kleinstbetriebe erinnerte man sich an die vor dem Krieg angedachte Konstruktion einer günstigen und variablen Landmaschine: Der Geräteträger, eine Traktorengattung mit einem universell nutzbaren Anbauraum zwischen den beiden Achsen, sollte die Lösung für alle landwirtschaftlichen Belange sein. In der Tat tummelten sich in den 1950er Jahren rund 15 Traktorenfirmen im Segment der Geräteträger.

Die Politik der Bundesrepublik förderte die Technisierung der Landwirtschaft mit Nachdruck, schließlich waren zu Beginn der 1950er Jahre über 50 Mio. Menschen in Westdeutschland zu ernähren. Die deutsche Landwirtschaft musste produktiver werden, sollte die Bevölkerung zu günstigen Einkaufspreisen satt werden. Hierzu mussten die Ackerflächen, welche man bisher für die Ernährung der Zugpferde benötigt hatte, für die Lebensmittelproduktion genutzt werden. Gleichzeitig suchte die Industrie händeringend nach zusätzlichen Arbeitskräften, welche bisher als Knechte oder Mägde auf den Höfen eingesetzt worden waren.

Steyer, Standardschlepper, Quelle: Steyer Prospekt
Steyer, Standardschlepper, Quelle: Steyer Prospekt

Neben diesen strukturellen Herausforderungen, die es zu meistern galt, musste bei den Bauern jedoch zunächst die Bereitschaft zur Mechanisierung geweckt werden. Die Deutsche Lehranstalt für Agrartechnik (DEULA), welche ab den 1950er Jahren flächendeckend Schulungszentren aufbaute, hatte die Aufgabe, die Landwirte über sinnvolle Lösungsansätze zur Technisierung aufzuklären und diese ebenso im Umgang mit dem Traktor zu schulen.

Ein Beispiel hierfür liefert die unweit von Stegen bei Freiburg beheimatete Staatsdomäne Baldenwegerhof mit ihrer Maschinenstation, die Maschinenvorführungen in allen Regionen Südbadens organisierte, bei denen den Landwirten neue Arbeitsverfahren in Kombination mit dem Traktor vorgestellt wurden. Ganze „Vorführkarawanen“ zogen zu diesem Zweck durch die Lande. Ebenso wurden seitens der Landtechnikbranche Filmabende organisiert und den Landwirten großzügig Traktoren und Maschinen zur Eigenerprobung auf den Höfen zur Verfügung gestellt.

Aufklärung tat Not und die Umstellung vom Pferd zum Traktor fiel besonders den „älteren Semestern“ unter den Bauern nicht immer leicht. So soll es anfänglich vorgekommen sein, dass mancher Landwirt seinen Traktor anfangs mit „brrr, hü und hott“ zu bändigen versuchte. Dem Autor ist überliefert, dass in seiner Nachbarschaft der erste Traktoreneinsatz im Holzschuppen endete.

Der Einzug des Traktors und der Technik rüttelte auch an der Familienhierarchie auf den Bauernhöfen. Traditionell war der Altbauer aufgrund seiner langjährigen Berufserfahrung der unumstößliche Patriarch auf seinem Hof gewesen. Nun musste er anerkennen, dass sein Nachwuchs schneller und besser mit der neuen Technik zurechtkam und sich gar von seinen Söhnen Anweisungen erteilen lassen. Nicht alle Bauern waren dazu bereit. So mancher Jungbauer kehrte seinem elterlichen Hof den Rücken, wenn der Altbauer gegenüber der neuen Technik verschlossen blieb.

Das größte Hindernis stellte aber oftmals die Finanzierung der Landtechnik dar. In den 1950er Jahren lösten sich technische Arbeitsverfahren innerhalb weniger Jahre ab. Gerade die Kleinbauern konnten sich das nicht leisten und gaben ihre Höfe auf, auch weil in der aufstrebenden Industrie lukrative Arbeitsplätze mit geregelten Arbeitszeiten lockten. Insgesamt hatte die Landtechnik jedoch auf den Bauernhöfen Einzug gehalten und damit die Landwirtschaft nachhaltig verändert. Durch den Einsatz von Traktoren und anderen technischen Errungenschaften konnte die Bevölkerung mit bezahlbaren Lebensmitteln versorgt werden. Der wirtschaftliche Aufschwung Deutschlands ab den 1950er Jahren wurde so überhaupt erst möglich.

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