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Knapp 0,40 Euro bekommt ein Landwirt von einer Molkerei für einen Liter konventionell erzeugter Milch. Für eine Kuh, die an 365 Tagen im Jahr je zwischen 20 und 30 Litern leistet, kommt ein stattlicher Betrag heraus. Doch davon muss nicht nur Futter, Stall und Melktechnik für die Kuh bezahlt werden – für viele Betriebe verursacht jedes geborene Kalb zusätzliche Kosten. Und es ist nun einmal so, dass eine Kuh nur dann regelmäßig Milch gibt, wenn sie jedes Jahr ein Kalb zur Welt bringt. Je stärker ein Betrieb auf Milchproduktion ausgerichtet ist und je stärker die eingesetzte Rasse auf Milchleistung fokussiert ist, umso mehr wird jedes Kalb – zumindest aus rein betriebswirtschaftlicher Sicht – zu einer zusätzlichen Last, die im optimalen Fall schnell und kostensparend wieder aus dem Betrieb verschwindet.
Die Realität für die Kälber auf vielen Milchviehbetrieben ist: Nach der Geburt leben sie in einem Kälberstall, wahlweise allein oder in einer Gruppe Gleichaltriger. Hier werden sie aus einem Eimer mit Saugvorrichtung mit Milch getränkt, bis sie wenige Wochen später an einen Händler verkauft werden – zu einem Preis, der die bis hierher entstandenen Kosten nicht deckt. Ihre Zukunft ist ungewiss, nicht wenige werden zur weiteren Mast ins Ausland weiterverkauft.
Zunehmend beschäftigen sich Landwirte mit der Frage: Ist das gut so? Welche Möglichkeiten gibt es, das Leben der Kälber erstens länger und zweitens mehr im Einklang mit den eigenen Gefühlen und ethischen Vorstellungen zu begleiten?
In der muttergebundenen Kälberaufzucht auf dem Hagenweilerhof bei Überlingen verbringen die Kälber ihre erste Lebenswoche ganz an der Seite ihrer Mütter. Weitere vier Wochen leben sie, gemeinsam mit Altersgenossen, in einem abgetrennten Bereich des Milchkuh-Stalles und haben hier regelmäßig die Möglichkeit, am Euter zu trinken. Erst im Alter von 5 Wochen ziehen die Kälber in einen separaten Stall mit Auslauf. Hier bekommen sie weiterhin Milch im Eimer und gewöhnen sich dabei langsam an die Fütterung mit Heu.
Auch bei der Ammenkuhhaltung der Hottenlocher Hofgemeinschaft bei Stockach sind die Kälber die ersten Lebenswochen mit ihren Müttern auf Tuchfühlung. Dann werden sie allerdings einer Ziehmutter, einer so genannten Amme, zugeordnet. Je nach Milchleistung kann eine Ammenkuh zwei bis drei Kälber versorgen. Bis zum Alter von etwa einem halben Jahr leben die Kälber gemeinsam mit den Ammenkühen in einer Herde.
Für manche Landwirte hört die Fürsorge für die Kälber auch dann noch nicht auf, wenn sie flügge geworden sind; sie füttern die Jungtiere bis zur Schlachtreife in einem separaten Stall und verkaufen das Fleisch neben der Milch als weiteres Produkt vom eigenen Betrieb.
Noch sind alternative Verfahren in der Kälberhaltung so selten, dass es kein einheitliches Label und keinen allgemein anerkannten Preis-Aufschlag gibt, wie es beispielsweise für Bio-Erzeugung oder Weidehaltung längst üblich ist. Landwirte, die sich für eine muttergebundene Kälberaufzucht oder eine Ammenkuhhaltung entscheiden, sind Pioniere. Sie brauchen nicht nur eine gesunde Portion Idealismus, sondern auch viel betriebswirtschaftliches Geschick. Denn die Gewinnspanne in der Milchviehhaltung ist knapp – nur, wer diese ziemlich perfekt durchorganisiert, hat überhaupt den finanziellen und zeitlichen Spielraum, innovative Ideen in der Kälberhaltung umzusetzen.
Auch jeder einkaufende Mensch, der sich mit dieser Thematik beschäftigt, ist ein Pionier. Wer durch seinen Einkauf ein Zeichen für alternative Verfahren in der Kälberhaltung setzen will, hat im Supermarkt bislang keine Chance. Ein erster Schritt kann die Beschäftigung mit der Frage sein: Welchen Preis wären Sie bereit für einen Liter Milch zu bezahlen, wenn dieser von einer Kuh stammt, deren Kalb beispielsweise bei einer Amme heranwachsen darf?